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9/10
Herausragend
“Tokyo Ghoul” ist eine Manga-Reihe von Autor Sui Ishida, die zwischen 2011 und 2014 in Shūeishas Seinen-Manga-Magazin “Young Jump” erschien.[1]
In Deutschland sicherte sich Publisher “KAZÉ” die Rechte an der Reihe und veröffentliche den Manga vollständig in 14 Bänden.
“Tokyo Ghoul” erzählt die Geschichte des schüchternen Studenten Ken Kaneki, der durch einen Schicksalsschlag in die brutale Parallelgesellschaft der Ghule hineingezogen wird.
Eine der Besonderheiten der Seinen-Publikation ist das dichte Genregeflecht aus Horror, Action, Dark Fantasy, Drama und Splatter.
Warum wir in “Tokyo Ghoul” schaurig schöne Manga-Poesie fanden, verraten wir euch im Review.
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Genre: Seinen, Horror, Action, Dark Fantasy, Drama, Splatter
Originaltitel: Tōkyō Gūru (Transkription)
Produktionsland: Japan
Text | Zeichnungen: Sui Ishida
Übersetzer: Yuko Keller
Verlag | Magazin: Shūeisha (in DE: KAZÉ) | Young Jump
Form: Taschenbuch, eBook
Bände: 14
Seitenanzahl: 224 (exemplarisch - Band 1)
Altersempfehlung: 16 (lt. KAZÉ)
Universum: Tokyo Ghoul
Nachfolger: Tokyo Ghoul:re (2014-2018)
Wertung:
Autor: Jannik
Verfasst am: 23.05.2021
Mein Draht zu “Tokyo Ghoul”
Ich erinnere mich noch gut an das Jahr 2015. Schule, ständiges Büffeln und zum Ausgleich sportliche Betätigung. Da kam mir eine Portion Abwechslung gerade recht. Etwas neues und doch vertrautes. Ein Stück Kindheit - aber irgendwie moderner, Erwachsener. Sowas wie einen neuen Seinen-Manga zu lesen.
Durch die Veröffentlichung des “Tokyo Ghoul” Anime in Deutschland durch Publisher “KAZÉ”, wurde ich auf die Manga Vorlage von Sui Ishida aufmerksam (ebenfalls “KAZÉ”).
Hierzulande veröffentlichte das Label den Anime seit April 2015 und den Manga etwa ein Jahr zuvor ab Mai 2014.
Neugierig geworden durch die erste Staffel des Anime, wollte ich mehr über die Welt von “Tokyo Ghoul” erfahren und besorgte mir den ersten Band der Fantasy-Geschichte. Seither schießt mir Sui Ishidas Werk immer wieder in den Kopf, wenn ich an die besten Manga/Anime denke, die ausschließlich für junge und ältere Erwachsene geeignet sind.
Wenn Ihr mehr über den Anime wissen wollt empfehle ich euch einen Blick auf Lissas Review zur Serie.
Die Bände 1-4 von “Tokyo Ghoul” mitsamt der Cover-Illustrationen
Modernes, urbanes Fantasy-Szenario
Zuerst war ich skeptisch ob mir das Thema der menschenfressenden Ghule nicht zu verrückt sein würde. Dennoch klang die Geschichte sehr interessant.
Ein Oberschüler namens Ken Kaneki, hat ein Date mit dem Mädchen Liz. Es verbindet sie die Liebe zu Büchern der Autorin Sen Takatsuki. Als Ken durch seine Begegnung mit Liz umittelbar in die Welt der Ghule gezogen wird, ändert sich sein Leben schlagartig.
Schon von Beginn an gefiel mir eine Sache besonders an Sui Ishidas Manga - nämlich der Kontrast. Tokios Großstadtflair wird auf eine besondere Art eingefangen. Ob das Café “Antik”, in dem Ken später jobbt, die Kamii-Universität oder auch ein Kanal unterhalb der Stadt. Diese urbanen Elemente werden kontrastiert mit den Fantasy-Anteilen die “Tokyo Ghoul” ebenfalls ausmachen. Das macht das Szenario so reizvoll.
Die soziale Gruppe des Café’s “Antik” (im original “Anteiku”)
Da gibt es nämlich die Ghule, die sich oberflächlich betrachtet nicht von den Menschen unterscheiden aber nicht ohne den Verzehr von Menschenfleisch überleben können. Jeder könnte ein Ghul sein. Der Lehrer, der Hausmeister oder auch die Familie von nebenan. Eine Parallelgesellschaft in der Menschen und Ghule Seite an Seite koexistieren, ohne so genau zu wissen wer Mensch und wer Ghul ist.
Leichte Parallelen oder Ähnlichkeiten sind in der Geschichte zum Manga-Klassiker “Parasyte” zu erkennen. In “Parasyte” machen sich Parasiten in Menschen breit, verändern deren Fähigkeiten, nehmen ihre Gestalt an und leben mit, unter und in ihnen. Auch in “Parasyte” hat Hauptfigur Shinichi Izumi mit dieser Art von Auswirkungen und Veränderungen innerhalb seines Lebens zu kämpfen.
Wer ist Ghul und wer is(s)t Mensch?
Die Geschichte entfaltet sich
Nachdem Sui Ishida das Grundgerüst seiner Story entfaltet hat, geht es ans Eingemachte. Actiongeladene Parts kommen hinzu. Es kommt zu brutalen und blutigen Kämpfen auf Leben und Tod zwischen Ghulen und Ermittlern des sogenannten “CCG” (hat die Aufgabe Ghule aufzuspüren und zu vernichten). Nichts für schwache Mägen, denn drastische, explizite Gewaltdarstellungen gehören dazu. Nicht umsonst zählt “Tokyo Ghoul” zum “Seinen”-Genre, ist also aus demografischer Sicht für junge Erwachsene konzipiert.
Zentrales Thema ist auch wie Protagnist Ken versucht seinen Weg zwischen zwei Seiten zu finden. Er wirft sich selbst und dem Leser Fragen auf. Ist es moralisch verwerflich Ghule zu töten? Können Menschen und Ghule irgendwann gemeinsam harmonisch zusammen leben? Haben sie nicht auch einen Anspruch auf einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft?
Genau dies macht “Tokyo Ghoul” aus. Es sind nicht etwa die Kämpfe, die Gewalt, das Blut, die Gore-Elemente oder die Wendungen, auch wenn diese ebenfalls deutliche Alleinstellungsmerkmale aufweisen. Es ist die Geschichte der Selbstfindung von Protagonist Ken und die Auswirkungen auf seine Umwelt, nachdem er ungefragt buchstäblich aus seinem gewohnten Leben gerissen wird.
Ken Kanekis Identität und innere Zerissenheit wird zum zentralen Thema
Die tiefere Ebene als größte Stärke
Als Halbghul wird Ken zum Bindeglied zweier Welten und versucht sich als Vermittler. Doch das ist leichter gesagt als getan, wenn die grundlegenden Fragen der Moral und Ethik immer wieder durch die banalen Gesetze der Natur unlösbar erscheinen.
Dieses Motiv von Mangaka Sui Ishida zieht sich durch alle 14 Bände von “Tokyo Ghoul” und bringt Ken an den Rande der Verzweiflung. Es ist der rote Faden der alles zusammen hält. Alles andere ist mehr Füllmaterial und mehr Mittel zum Zweck, ohne aber ungewichtig zu sein.
Ab etwa Band 6 macht die Geschichte, Protagonist Ken Kaneki und damit auch der Manga eine Art Neuentwicklung durch. Der sogenannte Phönixbaum tritt in sein Leben und wird vieles verändern. Im weiteren Verlauf geht es dann immer weniger um die Ghule aus dem Café “Antik”, sondern mehr um die Bemühungen des “CCG” bei denen bspw. der Ermittler Kotaro Amon eine zentrale Rolle spielt. Der Ton ändert sich leicht und wird dunkler.
Ken und damit auch der Manga machen den Eindruck sich etwas verirrt zu haben, bis sie schließlich wieder zum Faden zurück finden und daran wieder aufkeimen. Dann geht es richtig los und eine finale Schlacht entbrennt.
Besonders interessant ist da die Frage, was der Anime im Vergleich zum Manga auslässt (dazu später mehr!). Ist der Anime gar in sich geschlossen mit den Kürzungen und Veränderungen die bessere Geschichte? Nicht wirklich. Es braucht den Weg. Es braucht die Verirrung von Ken, um seine Rückkehr glaubhaft und nachvollziehbar zu machen.
Kureo Mado und Kotaro Amon ermitteln für das “CCG” (Commission of Counter Ghoul), um Ghule innerhalb der Gesellschaft aufzuspüren und zu töten
Zeichenstil von Sui Ishida
Ruhige Momente
Während in den ruhigen Momenten der Zeichenstil sehr klar und strukturiert wirkt, immer wieder insbesondere bei den Umgebungen aufwendig detailliert erscheint und dabei eine schwierig zu beschreibende emotionale, nachdenkliche Stimmung voll von Kraft erzeugt wird, stoßen wir uns an den dynamischen Szenen extrem.
In statischen Momenten ist Sui Ishidas Stil aufwendig detailliert und klar
Dynamische Momente & Sprechblasen
Schwierig zu folgen und schwer zu entziffern zeigt sich der Zeichenstil von Ishida bei schnellen Bewegungen in den Kämpfen. Es bleibt jederzeit künstlerisch wertvoll, ist aber teilweise so stark überzeichnet und abstrakt, dass schlicht nicht mehr zu erkennen ist, was überhaupt geschieht.
In dynamischen Szenen verliert man oft den Überblick
Dem zu folgen ist deshalb besonders schwer und anstrengend. Wie es anders geht, zeigte zum Beispiel Urgestein Akira Toriyama mit seinem fundamentalen Shōnen-Manga “Dragon Ball” (1984-1995), bei dem man als Leser gefühlt jede Kampfszene genau im Kopf zu bewegtem Bild zusammen fügen kann.
Ein ähnliches Problem zeigt sich in den Sprechblasen die teilweise nicht eindeutig einem Charakter zugeordnet werden können, was für Verwirrung und Verständnisprobleme sorgt.
In “Tokyo Ghoul” ist nicht immer klar, welche Sprechblase zu welchem Charakter gehört
Wie ein Gemälde
Insgesamt ist der Stil von Ishida trotzdem bezaubernd. Einige Bilder wirken aussagekräftig wie Gemälde und die Augen bleiben fast andächtig für einige Zeit daran hängen, weil so viel Emotion ausgestrahlt wird. Sein Stil ist besonders und hebt sich ab.
Begeistert waren wir deshalb auch von der Ausstellung “Die Kunst von Sui Ishida” auf der Anime-Convention “Animagic 2019”, welche wohl genau aufgrund dieser Stärken ins Leben gerufen wurde und nochmals vor Augen führte, wie künstlerisch wertvoll Sui Ishidas Gemälde sind.
Die Ausstellung “Die Kunst von Sui Ishida” auf der “Animagic 2019”
Wie gut Sui Ishida ist, zeigt zum Beispiel diese abstraktere Darstellung von Protgonist Ken Kaneki
Auch die Manga-Cover haben einen besonderen Touch, wie der finale Band Nr. 14 zeigt
Unterschiede zum Anime
Zeit ein paar Worte über die Unterschiede zwischen Manga und Anime zu verlieren. Diese sind im Falle von “Tokyo Ghoul” beträchtlich, beinahe extrem.
Grundsätzlich umgibt den Manga ein ganz anderes Erzähltempo. Während der Anime recht schnell voran schreitet und dabei oft die Tiefe missen lässt, wird im Manga genau diese durch gewisse Szenen geschaffen.
Konkret fehlen im Anime nicht nur schlicht viele Szenen aus dem Manga, sondern auch Kämpfe und die Geschichte werden schonungslos abgeändert.
Beispielhaft haben wir uns ein paar heraus gepickt, um zu verdeutlichen, wie “Studio Pierrot” an Sui Ishidas Werk rumgeschnibbelt hat. Diese Auflistung enthält selbstverständlich Spoiler!
Vorsicht - Manga zuerst kann sich lohnen! Die Unterschiede zum Anime sind groß.
Liste von Unterschieden
Diese Liste könnte man wohl schier endlos fortführen und insbesondere in Staffel 2 des Anime wird es deutlich undurchsichtiger und somit irrtierend. Ganze Kämpfe werden geändert, nicht unwesentliche Teile der Geschichte aus Dr. Kanos Labor, werden etwa mit dem Angriff des Phönixbaums auf das Ghul-KZ vermischt.
Letztendlich können wir jedem der Interesse an der Geschichte von “Tokyo Ghoul” hat empfehlen, zuerst den Manga zu lesen, denn dort wird die Geschichte zu einem dichteren Universum ausgebaut und richtet sich nach den Vorstellungen des Schöpfers Sui Ishida. Sollte man dies tun, muss man aber mit einkalkulieren, nicht mehr so gefesselt vom trotzdem wirklich guten Anime zu sein, weil man vieles bereits kennt. Keine leichte Entscheidung also.
Warum der Anime außerdem seine besonderen Schauwerte und Momente hat, erfahrt Ihr im Review zu “Tokyo Ghoul” (2014-2015), welches demnächst noch durch eine kurze Einschätzung diesbezüglich von uns ergänzt werden wird.
Details - wie die Beschreibung der Krallenarten - die für eine dichtere und detailliertere Welt sorgen, fehlen im Anime komplett
Fazit - Schaurig schöne Manga-Poesie
“Tokyo Ghoul” ist besonders. Sui Ishidas Werk hat viel zu bieten.
Sei es die Aussdrucksstärke der Zeichnungen in ruhigen Momenten oder die tiefgehende, emotionale Charakterisierung der Hauptfigur Ken. Darüber hinaus die vielen Gewissenskonflikte, sowie das aufbrechen grundsätzlicher Moralvorstellungen, die “Tokyo Ghoul” auslöst.
Es ist ein Werk welches als Paradebeispiel im Bereich Manga/Anime für herausragende Erwachsenenunterhaltung, in einer Liga mit “Death Note”, “Perfect Blue”, “Monster”, “Parasyte” und wie sie alle heißen, spielt.
“Tokyo Ghoul” bleibt im Gedächtnis, weil der Manga trotz Fantasy-Elementen nahbar und realistisch wirkt. Weil er frisch, jung und doch reif und abgeklärt daher kommt.
Gerade weil er im Mittelteil den Eindruck macht etwas verloren zu sein und den Pfad zurück, zum Erlangen einer Antwort finden muss, zeigt er sich so in seiner Erzählung als Ebenbild zur Charakterentwicklung von Protagonist Ken Kaneki.
Das Finale ist zwar in seiner Dynamik von den angesprochenen Diskrepanzen im Zeichenstil geplagt, rundet die Geschichte betreffend jedoch vollends ab und bietet zugleich die Möglichkeit für neue Ufer im Nachfolger “Tokyo Ghoul:re”.
“Tokyo Ghoul” ist ein Stück Kampf, ein Stück (Über)Leben eines jeden. Ein Teil Selbstfindung und schafft es gerade damit, auch ein Teil der Persönlichkeit des Lesers zu werden.
Trailer
Der offizielle Trailer zum Manga “Tokyo Ghoul”