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Lieblingsspiel
Im Jahre 2016 entzückte ein kleines, knuffiges Wesen aus Garn die Videospielwelt. Sein Name war “Yarny”.
Ein tapferer Wanderer an vorderster Front im Miniaturformat, welcher zielstrebig seinen roten Faden durch die Spielewelt zog, um Erinnerungen einzusammeln.
Mit “Unravel” veröffentlichte das schwedische Entwicklerstudio “Coldwood Interactive” ein Puzzle-Jump ’n’ Run der Extraklasse rund um diesen kleinen Retter der Erinnerungen.
Warum die philosophische Reise durch “Unravel” für uns eine kleine Offenbarung war, verraten wir Euch im Review.
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Genre: Jump ’n’ Run, Puzzle, Side-Scroller
Originaltitel: Unravel
Produktionsland: Schweden
Entwicklerstudio/Publisher: Coldwood Interactive / EA Originals
Musik: Frida Johansson, Henrik Oja
Spielmodus: Einzelspieler
Spielzeit: ca. 6 Stunden (Story), ca. 10 Stunden (100%)
Plattformen: PlayStation 4, Xbox One, PC, Nintendo Switch (Stand: 22.12.2020)
Altersfreigabe: USK 6
Nachfolger: Unravel Two (2018)
Wertung:
Testplattform: PlayStation 4
Autor: Jannik
Verfasst am: 22.12.2020
Erinnerungen
Eine ältere Dame sieht sich ein Bild an. Sie lächelt. Doch dieses Lächeln weicht langsam einem andächtigen Ausdruck. Es scheint als schwelge sie in Erinnerungen.
Als sie mit einem geflochtenen Holzkorb voller Garn in den buntesten Farben die Treppe hinauf steigt, rückt sie noch eben ein Foto an der Wand zurecht. Unbemerkt fällt das Garn mit der Farbe Rot aus dem Korb und rollt die Treppe hinab.
Das rote Garn entwickelt sich zu “Yarny” - unserer Spielfigur, mit der Aufgabe Erinnerungen zu retten, und zurück zu bringen.
Geboren in der Natur
Hier startet unsere Reise und wir dürfen unseren roten Faden durch die zwölf Level der Spielwelt von “Unravel” spinnen.
“Unravel” ist ein 2D-Jump ’n’ Run Side-Scroller mit Puzzle-Elementen und damit ein Geschicklichkeitsspiel. In der Rolle der Spielfigur “Yarny” verschlägt es uns durch stimmungsvolle Level in malerischen Landschaften, die laut Creative Director Martin Sahlin von der Umgebung der schwedischen Stadt Umeå inspiriert sind.[1]
Umeå sei eine sehr kleine Stadt, weit nördlich des Polarkreises, in der nicht viele Menschen leben, die jedoch eine ganze Menge Landschaft zu bieten hat, merkt Sahlin an.[2]
Die Idee für “Unravel” kam dem schwedischen Entwicklerstudio “Coldwood Interactive”, allen voran Sahlin, als er auf einem Campingausflug mit seiner Familie im Norden Schwedens eine “Yarny”-Puppe aus Reifendraht herstellte.[3]
Künstlerische Freiheit - ohne Kompromisse
Der Publisher für das physikbasierte Puzzlespiel von “Coldwood Interactive” ist “Electronic Arts”, welcher bereits seit einigen Jahren unter dem Banner “EA Originals” kleineren Indie-Perlen eine Chance gibt.
Zuletzt hatten wir uns auf derofa.de das Action-Adventure “A Way Out” (2018) aus der “EA Originals” Sparte angeschaut.
Bei Spielstart begrüßt uns EA’s Logo in Anlehnung an “Unravel” stilecht mit einem roten Wollkreis um seine zwei Buchstaben.
Laut “EA” möchte man mit “EA Originals” “unabhängige Studios untersützen” und Entwicklern ermöglichen ihre Spiele “ohne Kompromisse bei der künstlerischen Freiheit” zu veröffentlichen.[3]
Eigentlich könnte der Publisher dieses Logo für die gesamte “EA Originals”-Reihe einführen, denn “Unravel” ist, wie sich später zeigen wird, ein Paradebeispiel für eine unaufgeregte Nischenproduktion eines unabhängigen Entwicklerstudios, in der ungemein viel Liebe zum Detail steckt.
Die Reise eines roten Garns
Grundlegendes Gameplay
Im 2D-Jump ’n’ Run Side-Scroller “Unravel” bewegen wir uns mithilfe unserer wolligen Fähigkeiten über physikbasierte Puzzle-Rätsel von links nach rechts durch die Spielwelt - und ziehen dabei, wie als Metapher für eine zusammenhängende Geschichtenerzählung, unseren roten Faden immer mit.
Neben klassischen Hüpfeinlagen über Stock und Stein und das verschieben von Gegenständen, wie zum Beispiel knackig roten Äpfeln, ermöglichen die Spielmechaniken es dem kleinen “Yarny”, sein Garn an hervorgehobenen Anknüpfpunkten zu befestigen. Je nach Situation kann er sich dadurch in der Luft schwingen, Objekte heran ziehen, sich abseilen oder an Hindernissen hochhangeln.
Zusätzlich ist es dem Spieler überlassen, pro Level fünf Knöpfe einzusammeln, die meist an besonders schwer erreichbaren Stellen versteckt sind.
Interaktion mit Objekten
Bei dieser grundlegenden Mechanik, die so simpel wie genial ist, überraschen die Entwickler nie mit neuen Kniffen, denn “Yarny” lernt keine neuen Fähigkeiten. Sie schaffen es aber trotzdem immer wieder im Spieldesign kreativ genug zu sein, dass die Grundmechaniken ausreichen um enormen Spaß zu machen. Denn allein die prächtigen Kulissen mit immer neuen Interaktionsmöglichkeiten, deren Nutzen es zu durchschauen gilt, um weiter voranzuschreiten, wie etwa Vögel, Fische, Drachen, Gegenstände und vieles mehr, sind enorm ergiebig und wunderschön gestaltet.
Symbolik & Tiefe
Hinzu kommt, dass die Entwickler Symboliken nutzen, um mehr Tiefe zu erzeugen. Wenn wir etwa eine Laterne in der von Wind und Eis gepeitschten Einöde über das Feld ziehen, damit uns ihr Licht die bittere Dunkelheit erhellt und sie uns zugleich als Anker dient, um nicht weggeweht zu werden, wissen wir, ein großes Stück Leben steckt in diesem Spiel.
Spielerisch wird diese herangehensweise also nie alt, weil es sich so selbstverständlich, logisch und zugleich elementar anfühlt. Beim abseilen von Bäumen und geäst, fühlt man sich manchmal wie ein kleiner, wolliger Geheimagent - geradewegs auf der noblen Mission Erinnerungen und damit lebendige Momente einzusammeln.
Der Sinn
Yarnies Ziel ist es Familienerinnerungen einzusammeln. Er möchte ein altes rot-braunes Fotoalbum mit kleinen, roten, knuffigen Abzeichen verzieren. Fein säuberlich steckt Yarny nach jedem abgeschlossenen Level ein weiteres Woll-Abzeichen auf die Vorderseite des Albums - und haucht ihm so wieder Leben ein. Denn die Bilder die darin waren sind verblasst und kaum zu erkennen. Doch als Yarny kümmern wir uns darum, und machen diese Bilder und damit auch die Erinnerungen wieder sichtbar.
Die Entwickler erfreuen uns auf ihrer und zugleich unserer philosophischen Reise zusätzlich mit Textbotschaften. Botschaften die ans Herz gehen. Creative Director Martin Sahlin beschreibt seine Gedanken bei der Entwicklungsarbeit von “Unravel” in einem Interview so:
Die Gleichmäßigkeit
Die Besonderheit an “Unravel” ist nicht etwa, dass es etwas besonders neu macht, denn bis auf die “Faden-Mechanik” strotzt das Spiel nicht unbedingt vor innovativem Gameplay. Die Besonderheit an “Unravel” ist, dass es etwas anders macht.
Es gibt im weiten Feld der Videospiele nur wenige Titel die eben diesen künstlerischen Ansatz verfolgen und damit kulturell so wertvoll sind wie “Unravel”.
Das Stichwort der “nonverbalen Erzählung” führten wir bereits in unserem Review zu “Arise - A Simple Story” (2019) unter dem Punkt “Die Genre-Kollegen” aus. Spiele wie “Limbo”, “Ori and the Blind Forest”, “GRIS” “Little Nightmares”, wie die guten Weine der Gaming-Branche alle heißen, erzählen ihre Geschichte ohne Worte und nur in Bildern. Und alle diese Spiele haben meist einen besonderen Kunstgriff in ihrer Spielmechanik. Im Falle von “Unravel” ist es das alles durchziehende Garn, welches in seiner Symbolik unübertroffen ist und zugleich als treibendes Element unersetzbar ist, um im Spiel fortzuschreiten.
Einige weitere Elemente führen dazu, dass “Unravel” zu einer Homogenen Einheit wird und so wunderbar gleichmäßig wirkt. In seiner Grundstimmung umgibt das Spiel eine Atmosphäre die wir als eine nordische oder skandinavische “Herbstlichkeit” umschreiben würden. Die swedische Gegend um Umeå spielte eine “maßgebliche Rolle bei der Entwicklung und Gestaltung der Spielabschnitte” wie der Wikipedia-Artikel zu “Unravel” verrät.[4]
Wir schlagen uns durchs Mohr, durch neblige Grasfelder. Dabei begrüßt uns ein Elch im Hintergrund oder wir hängen uns an einen verloren gegangen Drachen und fliegen ein Stück mit. Auch die Details wie gefrorene Pfützen, die wir durch einen beherzten Sprung zerbrechen, sind vorhanden. All das macht die Spielwelt so lebendig.
Die Musik der beiden schwedischen Komponisten Frida Johansson und Henrik Oja trägt maßgeblich zu genau dieser Stimmung bei. Perfekt auf die Gestaltung des Spiels abgestimmt, wurden klassische und auch traditionelle Instrumente verwendet. Die Übergänge der verschiedenen Stücke je nach Spielabschnitt sind nahtlos, was gut zu hören ist, wenn man sich auch mal rückwärts bewegt.
Auch wenn neben dieser gelungenen Atmosphäre letztendlich eine genaue Interpretation der Handlung bewusst dem Spieler überlassen wird ist klar: Yarny steht für die Bindungen der Menschen untereinander.[5]
Fazit - Das Garn aus dem Träume gemacht sind
“Unravel” ist ein beeindruckendes Videospiel. Es bleibt im Gedächtnis zurück weil es sich fern des Gewöhnlichen ansiedelt.
“Unravel” umgibt eine sanfte Tiefgründigkeit. Es macht nachdenklich. Die malerische Stimmung die es mithilfe seines Garns durch die gesamte Spielwelt zieht, wenn wir in Baumwipfeln verweilen oder uns Steile abhänge hinab Seilen, ist einmalig.
Mit Yarny als Spielfigur entknotet der Spieler eine Geschichte und sammelt für sich selbst wieder ein, was verloren gegangen war, was immer es auch war. Unravel hat uns damit auf viele Arten inspiriert und etwas in uns ausgelöst.
Wenn die Credits letztendlich im behutsam von Yarny wiederbelebten Familienalbum ablaufen, welches wir Stück für Stück gefüllt haben, dann verabschieden sich die Entwickler mit einer Danksagung. Und das möchten wir ebenso tun.
Danke, dass wir “Unravel” spielen durften!
Trailer
Der offizielle Trailer zu “Unravel”